Es fühlt sich wieder an wie Winter! 4°C zeigt das Thermometer an diesem Morgen. Ich sitze draußen in der Pflicht und gebe die heutige Route nach Dirhami in den Plotter ein, dabei sind die Finger steif gefroren und die Ohren kurz vor dem abfallen. Wenigstens scheint die Sonne und der Himmel ist strahlend blau. Um 09:15 sind wir dann soweit und verlassen eingepackt wie die Eskimos Haapsalu. Die ersten zwei Stunden geht es unter Motor entlang dem Tonnenstrich. Der Wind kommt dabei, wie sollte es auch anders sein, mal wieder von vorne und die 4° C fühlen sich durch den Windchill- Effekt wie minus 10°C an. Nach 10 Seemeilen haben wir die Ansteuerungstonne und freien Seeraum sowie den finnischen Meerbusen erreicht. Wir setzen unseren Kurs nach Osten ab und nutzen bei halben Wind lediglich die Genua als Segelfläche. Punkt 13:00 laufen wir dann in den kleinen Hafen von Dirhami ein. Heute wird unser letzter Tag in Estland sein, bevor es morgen rüber nach Finnland geht und wir ins Schärenmeer eintauchen werden. Unser Fazit: Ein wundervolles Segelrevier mit sehr gut ausgestatteten Marinas und super netten Menschen.
Wie bereits erwähnt hält uns das Wetter bis mindestens Samstag in Haapsalu fest. Also stellte sich die Frage: Was machen wir weitere 2-3 Tage in Haapsalu? Schließlich hatten wir schon sämtliche Sehenswürdigkeiten auf unserer Liste abgeharkt und so entstand die Idee Tallinn auf dem Landweg und nicht mit dem Boot über die Ostsee anzusteuern. Vorteil: Wir verlieren durch die Schlechtwetterperiode keine weiteren Tage und können dann von Haapsalu über Dirhami die finnische Schärenküste direkt ansteuern. Schnell war ein Hotel in Altstadtnähe von Tallinn gebucht und wir saßen in einem Taxi, welches uns zum Busbahnhof chauffierte. Am Busbahnhof angekommen wurden wir von einem mitreisenden älteren estnischen Herren angesprochen. Die Konversation war sehr einseitig, der gute Mann sprach kein Englisch und wir kein Estnisch. Das störte dem mitteilungsbedürftigen Gesellen aber herzlich wenig und so haben wir uns zumindest bemüht seinen Erzählungen zu folgen und höflich zustimmend genickt. Höhepunkt unserer Unterhaltung war, dass wir gemeinsam mit dem Herren mehrmals in deutsch laut von eins bis zehn ( 1-6 konnte er bereits, die 7,8,9,und 10 wollte er lernen) gezählt haben. Andere Mitreisende, welche ebenfalls auf den Bus warteten haben uns drei wahrscheinlich für vollkommen Plem-Plem gehalten. Zumindest deuteten Ihre Blicke darauf hin. Mit dem Bus ging es dann ins etwa 100 km entfernte Tallinn und direkt in die sehenswerte Altstadt. Am späten Nachmittag sind wir dann lediglich bewaffnet mit Zahnbürste und Zahnpasta ins „Radison Blue“ eingezogen und haben als erstes die Cocktailbar belagert. Abends hat es uns noch einmal in die nahe gelegene Altstadt gezogen. Jetzt war es hier deutlich entspannter als einige Stunden zuvor, tausende von Kreuzfahrern hatten das Feld geräumt und saßen wahrscheinlich auf ihren Traumschiffen beim Abendbuffet. Allein bei dem Gedanken stellte sich auch bei uns ein Hungergefühl ein und so entschieden wir uns in die Mittelalterlichen Gemäuer des „Pfeffersack’s“ einzukehren um unsere Gelüste zu befriedigen. Während wir unser wahrlich opulentes Mahl verspeisten, wurden wir Augenzeugen einer dramatischen Auseinandersetzung. Zwei trunkene Landsleute kämpften zuerst mit Fäusten und später mit Hieb- und Stichwaffen um die Gunst einer hübschen Jungfrau. Nachdem die Sache geklärt und die beiden Rivalen sich befriedet hatten, kehrte wieder Ruhe ein und es floss noch reichlich von dem süffigen Gerstensaft. Nach erreichter Bettschwere machten wir uns auf den Heimweg ins Hotel. Dort angekommen verzogen wir uns gleich in unsere Gemächer und ließen den Tag ausklingen. Am anderen Morgen ging es nach einem ausgiebigen Frühstück mit unserem Luxusliner zurück nach Haapsalu. Im Hafen angekommen empfing uns am Steg ein stürmisch kalter NW-Wind. 7°C bei 7-8Bft und zwei fast durchgescheuerte Festmacher sorgten unverzüglich am ganzen Körper für Gänsehaut. Bleibt zu hoffen, dass zumindest der Wind bis morgen ein wenig abnimmt und wir unser nächstes Etappenziel ansteuern können.
…und oft kommt es (wie bei unserem Besuch) zu einem wilden Gemetzel um eine schöne Jungfrau
Unser Wetterprophet sagt für die nächsten Tage Windgeschwindigkeiten von über 4o Knoten voraus. Bei 8-9 Windstärken in den Finnischen Meerbusen einzufahren, wollen wir uns und nicht antun. Folglich legen wir in Haapsalu unsere erste Zwangspause ein und warten auf Wetterbesserung. Unser bisher ausgesprochen gutes Wetterglück hat uns kurzzeitig verlassen und wir haben heute den ersten wirklichen Regentag zu verzeichnen. Nichtsdestotrotz haben wir die Bordfahrräder ausgepackt und uns auf Exkursionsfahrt ins ca. 1,5 km entfernte Centrum von Haapsalu aufgemacht. Auch hier gab es einiges zu sehen und erkunden. Die Railway-Station aus dem Jahr 1903 mit dem seinerzeit längsten (214m) überdachten Bahnsteig Europas, das alte Kurhaus, Museen, die Promenade und sicherlich als imposantestes Bauwerk, die im 13ten Jahrhundert gebaute Bischofsburg. Zurück an Bord haben wir dann vorsorglich den Liegeplatz gewechselt und die „Ratzfatz“ an einem vor Wind und Schwell geschützteren Platz verholt.
Für heute hatten wir uns Haapsalu als Ziel vorgenommen. Bis dahin haben wir eine maximale Fahrzeit von 6 Stunden kalkuliert, was für entsprechende Entspannung am Morgen sorgte und wir uns Zeit lassen konnten. Das was gestern Nachmittag zu viel an Wind war, war heute zu wenig! Null – Nada – Niente, es gab aber auch gar nichts an Wind was man hätte in Fahrt umsetzten können. Also war wieder einmal Motoren angesagt. So langsam geht uns die Motorerei tierisch auf den Senkel. Wenn das so weiter geht, haben wir am Ende 75% des Törns unter Maschine bestritten. Der Rest ist schnell erzählt, unterwegs hatten wir bis auf eine Fähre kein weiteres Wasserfahrzeug sichten können, überhaupt haben wir in den letzten Tagen das Gefühl immer alleine auf dem Wasser unterwegs zu sein. Im Zickzack Kurs haben wir uns von Tonne zu Tönnchen und von Insel zu Inselchen gehangelt. Dabei immer schön den Plotter und das Lot im Auge behalten. Die See ist hier oben nicht tief, die meiste Zeit hatten wir keine 5 Meter Wasser unterm Kiel. Von daher ist abkürzen nicht unbedingt empfehlenswert. Dicht unter der Wasseroberfläche lauern tausenden von Rockys nur darauf Bekanntschaft mit unseren Kiel machen zu dürfen.
Um 08:00 ging es in Kuressaare los, eine halbe Stunde später der erste Schreck. Mitten im schmalen aber gut betonnten Fahrwasser sind wir auf Grund gelaufen und die Ratzfatz saß fest! Das Lot zeigte 1,4m Wassertiefe an, was für einen Tiefgang von 1,8m natürlich nicht ausreichend ist. Seltsam nur, dass wir genau diese Stelle bei unserer Einfahrt in den Hafen bereits schon einmal ohne Probleme passiert hatten. Gottseidank war es kein Stein oder harter Kontakt, die Ratzfatz wurde ganz sanft von 5,5 Knoten auf 0,o Knoten abgebremst. Mit ordentlich Rückwärtsschub sind wir nach einigem hin und her wieder frei gekommen und konnten unsere Fahrt fortsetzen. An Segel setzten war mangels Wind in den ersten zwei Stunden nicht zu denken Erst gegen Mittag frischte es ein wenig auf und wir konnten bei halben Wind wunderbar segeln. Im Verlauf des Nachmittages drehte der Wind dann immer mehr auf Nord und nahm an Stärke zu. 10 Seemeilen vor Kuivastu hatte Aiolos (Windgott) die 6 Bft erreicht und wie sollte es anders sein, kam er mal wieder genau von vorn. Zudem entwickelte sich in der Meerenge zwischen der Insel Muhu und dem Festland eine sehr kabbelige See. Scheußlich kurze uns steile Wellen ließen das Boot mächtig stampfen und wir kamen nur sehr, sehr langsam dem Zielhafen näher. Entschädigung für die anstrengenden letzten Stunden fanden wir dann in dem Hafen von Kuivastu. Die Anlage wurde 2012 neu errichtet und befindet sich in einem absoluten Bestzustand. Auch wenn hier neben dem Fährschiffverkehr gleich nebenan nicht viel los ist, können wir die gut geschütze Marina nur weiter empfehlen.
Wir sind nun vier Wochen unterwegs, haben drei Länder hinter uns gelassen und sind im vierten unterwegs. In unserem Kielwasser liegen bisher 662 Seemeilen. Seit Stralsund haben wir keinen Regen und überwiegend Sonnenschein (wenn auch mitunter kühl) und keine Sturm- oder Starkwindtage gehabt. Das Gefühl für Tag und Zeit schwindet zunehmend, was will man mehr?
Mücken, Elche, Bären, Wölfe und sonstiges Getier soll es hier geben. Erstere haben wir bereits zu tausenden kennen gelernt, Bären und Wölfe müssen wir nicht begegnen. Ein Elch hingegen wäre nicht schlecht! Doch bevor wir uns auf die Pirsch nach Elchen begeben, erkunden wir den Ort. Wahrzeichen von Kuressaare dem früheren Arensburg ist die direkt am Wasser gelegene mittelalterliche Bischofsburg. Die Burg wurde erstmals 1398 unter dem Namen Schloss Arnsborch urkundlich erwähnt. In Kuressaare fand an diesem Wochenende das Orchideenfest statt. In der Stadt herrschte fröhliche Volksfeststimmung, Musik, Party, Trödel- und Verkaufsstände prägten das Bild. Kuressaarre hat uns außerordentlich gut gefallen, die Menschen sind hier deutlich entspannter und gelassener, Hektik … Fehlanzeige! Hier muss man sich einfach wohlfühlen.
Ventspils – Roomassaare – Kuressaare ca. 67 Seemeilen
04:00 der Wecker schlägt Alarm und will uns aus den Federn treiben. Nööö… noch ein Stündchen…,ist gerade so schön kuschelig, so unsere gemeinsame Reaktion auf den Weckruf. Also noch einmal umdrehen und die Ruhe genießen. Punkt fünf war es dann aber soweit, Schnellwäsche, Frühstücken, Anziehen, Ablegen. Mit uns zusammen ist eine Dänische Segelyacht aufgebrochen und uns die die ersten 2o Seemeilen auf unseren Weg nach Estland begleitet. Während wir später die Irbenstrasse zwischen Lettland und Estland querten, zog der Däne weiter unter Land in Richtung Kolka und unsere Wege trennten sich. Die Ostsee war an diesen Morgen spiegelglatt und kein Windhauch zu spüren. Somit war einmal mehr der Diesel gefordert uns anzutreiben. Erst kurz vor unserem Ziel briste es ein wenig auf, sodass wir in Summe neun Motor- und eine Stunde unter Segel ins Logbuch schreiben konnten. Apropos Ziel, durch einen Navigationsfehler, der mir allerdings viel zu spät aufgefallen ist, sind wir anfänglich in Roomassaare eingelaufen. Wir wunderten uns bereits bei der Einfahrt ins betonnte Fahrwasser, da passt doch etwas nicht???? Ich hatte am Abend zuvor noch schnell den Kurs und die Ansteuerung in den Kartenplotter eingegeben und mich später blind auf meine Eingabe verlassen und der Autopilot ist dem ebenso blind bis zur Ansteuerungstonne gefolgt. Nur handelte es sich dabei nicht um die Ansteuerungstonne von Kuressaare. Wie auch immer nun waren wir in Roomassaare gelandet und hatten auch keine Lust mehr meinen Fauxpas auszubügeln und erneut 3 Seemeilen zurück zu legen. Außerdem war der Hafen nicht schlecht und so beschlossen wir uns erst am nächsten Tag nach Kuressaare zu verlegen.
Samstag 27.05.17. Wir verholen uns in unseren eigentlichen Zielhafen. Auf dem Weg dorthin, begegnen uns im engen Fahrwasser die „Polar“ und „Mrs Jones“. Seit der Überfahrt von Polen nach Littauen queren sich unsere Wege regelmäßig. In Kuressaare angekommen steht Oskar der Hafenmeister bereits auf dem Steg und erwartet uns mit einem breiten Grinsen und den Worten „You have a long and hard trip? “ „Yes, it was a very hard trip!“ war mein Kommentar dazu. Ha-ha-ha, Oskar wie auch wahrscheinlich die Cew der „Polar“ und „Mrs. Jones“ haben dank unserem AIS – Signal bereits schon gestern anhand der Schiffsposition unseren Fehler bemerkt und sich gewundert warum die Ratzfatz die Ansteuerung nach Roomassaare wählt. Was soll’s, C . Columbus hat seinerzeit Indien auch nur knapp verfehlt.
Entgegen unserer Planung haben wir heute einen Hafentag eingelegt. Schließlich musste noch das ein oder andere am Boot erledigt und eingekauft werden. Außerdem wollten wir nicht ohne bleibende Eindrücke und Erinnerungen Ventspils / Lettland verlassen, bevor es weiter nach Estland geht. Also wurde der Rucksack aufgeschnallt und los ging es vom Hafen aus an den Strand und durch die Dünen. Anschließend haben wir uns die nähere Umgebung angesehen und unsere Einkäufe erledigt. Dabei war auffällig, dass Arm und Reich, Verfall und Moderne oft ganz dicht beieinander liegen.
Ich habe geschlafen wie ein Murmeltier und somit sind wir auch erst um 10:00 hier weg gekommen. Zur Verabschiedung kam noch der Hafenmeister (deutschsprechend) auf einen Plausch vorbei und wir haben uns mit den Worten „wir kommen auf jeden Fall irgendwann mal wieder“ verabschiedet. Mit uns hat die SY- Polar ebenfalls mit Ziel Ventspiels den urigen Hafen von Pavilosta verlassen. Kurz nach der Ausfahrt haben wir die Segel gesetzt, mussten aber um halbwegs voran zu kommen, den Motor die ersten Stunden mit niedriger Drehzahl mitlaufen lassen. Nach 4,5 Stunden passierten wir südlich von Ventspils das von der Lettischen Marine gesperrte Seegebiet, welches wir weiträumig umfahren haben. Über Funk lauschten wir schon eine ganze Weile dem Geschehen, konnten jedoch das Sprachwirrwar nicht so richtig deuten. Ich hatte immer irgend etwas mit US-Navy verstanden und machte mir noch einen Spaß daraus. War aber kein Spaß, vor Anker lag der Versorger „Button“ und zwischen Land und der „Button“ pendelten Landungsboote hin und her. Donald’s Truppen üben anscheinend den Landfall vor Ventspils. Wie auch immer, um 16:15 hatten wir es geschafft. Der freundliche Hafenmeister wartete bereits auf dem Steg um unsere Vorleinen entgegen zu nehmen. Nachdem an Bord alles soweit klariert, wir frisch geduscht (neue Sanitäranlagen in einem Top Zustand) und gestriegelt waren, ging es via Taxi in die Stadt. Von einem lieben Kollegen (Danke für den Tipp, Tobi) wurde uns eine Lokalität („Cafe Skroderkrogs“ in der Skroderu iela 6) empfohlen, welche wir unbedingt mitnehmen wollten. Fazit: Absolute Spitzenküche zu einem für unsere Verhältnisse unschlagbaren Preis!!! Mit Getränken, Vorspeise, Hauptgericht, Nachspeise und 2 Taxifahrten inkl. Sightseeing hat uns der ganze Spaß zusammen keine 35 Euro gekostet. Schöner hätte der Abend nicht ausklingen können.
04:00 Lautstarkes Diskussionsgebrabbel stört meinen Schönheitsschlaf. Ulli pennt wie ein Stein und bekommt nichts mit. Ich stecke meinen Kopf aus dem Niedergang um zu gucken was da los ist. Keine 3 Meter hinter dem Boot sitzen zwei ältere Herren in Tarnanzügen und stellen den Fischen nach. Dabei wird anscheinend lautstark über die wohl beste Köderauswahl und Fangtechnik gefachsimpelt. Meine Fresse…., ich bin hundemüde und will pennen!! Da ich die Diskussion ja nicht so einfach abstellen kann, dichte ich meine Gehörgange mit reichlich Ohropax ab, was vorerst einmal für eine akzeptable Hintergrundbeschallung sorgt. Leider hält der Frieden nur eine Stunde an. Punkt 05:00 erwachen auch die örtlichen Verkehrsbetriebe wieder und geben mir den Rest. Ulli aufstehen, wir müssen hier weg.!!Keine Stunde später sind wir ablegefertig und verlassen Liepaja mit Ziel Pavilosta. Fünf Stunden später laufen wir bereits in Pavilosta ein. Schön hier, eine Ruheoase wie aus dem Bilderbuch und noch sind wir die einzigen Gastlieger an dem Steg.